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Produziert vom Studio Akustische Kunst des WDR
Unter der Mitwirkung von Claudia de Serpa Soares und Nicola Mascia vom Tanzensemble der Schaubühne Berlin sowie dem Deutschen Filmorchester Babelsberg
Ursendung: 30. November 2002 auf WDR3
Länge: 32:30 min.

Die Haut ist das tönende Gefäß unserer Seele, sie ist die Membran zur Außenwelt, Schutzhülle und Sinnesorgan zugleich. Ohne Berührungen der Haut ist der Mensch zum Sterben verurteilt, erst das Fühlen eines Anderen gibt uns Identität und macht uns zum Menschen. Die Haut steht in ihrer ambivalenten Doppelfunktion zugleich für die mögliche Verschmelzung zweier Individuen und für die physische Unmöglichkeit des wirklichen Einsseins. Der Liebesakt als ultimative Form der Berührung bedeutet dem der Spiritualität beraubten Menschen von heute die ihm letzte verbleibende Erfahrung von Transzendenz. In Der Klang der Haut begegnen sich zwei Menschen, um diese letzte Erfahrung in gegenseitiger Auflösung zu suchen. Das tastende Geräusch ihrer Berührungen ist die Sprache der Körper, deren Grenzen zu überschreiten sie nicht in der Lage sind. Die Topografie der Körper wird durch ein vielschichtiges Instrumentarium gestrichener Klänge nachgezeichnet, das die Rituale der Zärtlichkeit und das Leiden am Getrenntsein beschwört und zelebriert.

Der Tastsinn gilt in der abendländischen Tradition als der primitivste der fünf Sinne; im Gegensatz zum Sehen, das der Rationalität zugeordnet wird, verweist der Tastsinn auf Lust und Eros und auf irrationale unbewusste Vorgänge. Gleichzeitig scheint der Tastsinn die Grundlage für die anderen Sinne zu bilden, ihm ist eine scheinbare Objektivität zu eigen: nicht umsonst sprechen wir davon, etwas „zu begreifen“ oder „zu erfassen“, womit auch gemeint sein kann, sich der Wirklichkeit eines Objektes durch das Berühren gewahr zu werden. Der Tastsinn steht aber auch für Distanzlosigkeit – das Sehen als Gegenpol innerhalb der fünf Sinne setzt dagegen einen Abstand zum Objekt voraus, um überhaupt etwas wahrnehmen zu können. Die Entwicklung der Schriftkultur und die damit einhergehende Abstraktion von der sinnlich wahrnehmbaren Wirklichkeit und später auch die Einführung von Film und Fernsehen besiegelten die kulturelle Dominanz des Visuellen über das Taktile.

In Der Klang der Haut begegnen sich eine Frau und ein Mann, die sich einander ausschließlich durch Berührungen vergewissern. Ihre Beziehung begründet auf taktiler Kommunikation; sie sind so besessen von der tastenden Sprache ihrer Körper, das der Klang ihrer Haut das Geräusch ihres Verlangens wird, aber auch das Geräusch des Zweifels und der Angst. Die Haut ist das Organ ihrer Sinnlichkeit, doch in der größtmöglichen Nähe vergessen sie, dass die Haut auch unsere natürliche Grenze ist, die uns am Leben hält und uns dadurch notwendigerweise voneinander trennt. Die Obsession für das Taktile lässt sie die gesunde Balance zwischen Nähe und Distanz verlieren, verzweifelt und geradezu wütend versuchen sie, ineinander zu kriechen und sich zu durchdringen. In tiefen Zügen atmen beide das Leben ein, jeder Atemzug läutet einen weiteren Schritt in einer Entwicklung beginnend bei der vorsichtigen Annäherung hin zur körperlichen Vereinigung und weiter in Richtung der Vereinzelung ein. Der Liebesakt bildet den Mittelpunkt der Entwicklungslinie als intensivste Form der körperlichen Begegnung, der aber auch den Moment größter Verletzlichkeit markiert und den Keim späterer Trennung in sich trägt.

Die konkreten Klänge der Haut sind sieben emotionalen Grundmustern zugeordnet, die jeweils durch das Einatmen eingeleitet werden. Diese sind in der Reihenfolge ihres Auftretens: Die Zartheit, das Spielerische, das Verlangen, die Leidenschaft, der Zweifel, die Wut, die Angst. Die entsprechenden Hautklänge sind: lange, sanfte Striche der Hand über die Haut (die Zartheit), kurze rhythmische Wischgeräusche der Handflächen und Entlangstreichen der Körper aneinander (das Spielerische), Beißen, Küssen und festes Umarmen mit nassem Körper (das Verlangen), heftiges Reiben, Kleben, Klatschen und Schlagen mit den Haaren (die Leidenschaft), Kratzen und Haare Reiben (der Zweifel), Kämpfen mit den Fingern, Handgemenge, Stoßen und Schlagen (die Wut), Zittern und Aufschrecken (die Angst).

Die Klänge der Haut – vorwiegend extrem leise, mikroskopische Körper- und Hautgeräusche, die für diese Klangkomposition auf einen ungewöhnlichen Lautstärkepegel angehoben wurden – stehen einem Klangkörper gegenüber, der sich ausschließlich aus mit Bogen gestrichenen Instrumenten zusammensetzt und dessen Zentrum ein großes Streicherensemble bildet. Die Klangkomposition wird flankiert von zwei kanonartigen Kompositionen für Streicherensemble, die in ihrem beschwörenden, gebetsmühlenartigen Charakter das Verlangen nach körperlicher Einheit wachrufen. Etwa zur Mitte des Stückes markiert ein weiterer kürzerer Kanon den Wendepunkt in der Entwicklung der Beziehung. Neben dem Streicherensemble sind leiseste gestrichene Töne auf einem Instrumentarium zu hören, das sich aus Waterphones, Gongs, Klangschalen, Monochords, Streichpsalter und Blechen zusammensetzt. Diese erklingen zusammen mit dem Streicherensemble, das teilweise geräuschhafte Texturen und atonale Clusterklänge beisteuert. Die gestrichenen Klänge bilden den Gegenpol zu den „rohen“ Klängen der Haut, die an der Oberfläche bleiben, also das Außen bezeichnen, während die tonalen Klangflächen „unter die Haut gehen“, also auf das Innen verweisen und die Innerlichkeit der beiden Menschen beschreiben. Die Klänge der Haut stehen für Intimität, Nähe und Bewegung, während die gestrichenen Klänge den Eindruck von Weite vermitteln und eher einen statischen Raum aufspannen, der sich graduell in Klangfarbe und Tonhöhe verändert. Das erweiterte Streichinstrumentarium transzendiert die akustische Topografie der Körper, die schemenhaft in den gestrichenen Klangflächen hindurchscheint. Die Ähnlichkeit in der Klangerzeugung – einem Klangkörper wird durch Reibung (oder Streichen) ein Ton entlockt – verweist auf die Idee, dass die verschiedenen emotionalen Qualitäten von Berührungen auch auf verschiedene Weise in uns resonieren. So gehen die langsamen Striche der Hand auf der Haut unmerklich über in tonlose Bogengeräusche der Violinen, oder das reibende Geräusch einer festen Umarmung setzt sich fort auf gestrichenen und geriebenen Metallplatten. Dabei erscheinen die gestrichenen Klangkörper vertrauter als die isolierten und verstärkten Geräusche der Haut, die in ihrer Direktheit fremdartig und gröber wirken, als wir sie in der Realität erleben.

Das dritte Element der Klangkomposition bilden Naturgeräusche, die das Stück vor dem Hintergrund des Herbstes erklingen lassen. Die leisesten Windgeräusche, vorbeiziehende Zugvögel, fallendes Laub, Wassertropfen auf Haut und Eisregen erinnern an die Jahreszeit, mit der der Begriff des Fallens (englisch auch „the fall“) verbunden ist. Stoff gleitet an Körpern herab, zwei Menschen begegnen sich entblößt und nackt, um rückhaltlos an die eigenen Grenzen zu gelangen. Auf ähnliche Weise mag der Herbst für Nacktheit und das Vordringen zu verborgen liegenden Geheimnissen stehen – das Laub fällt von den Bäumen, die Natur entledigt sich allen Schmucks und zeigt sich von seiner dunklen Seite. Die musikalischen Strukturen greifen die Idee des Fallens auf: die ersten beiden kanonhaften Kompositionen fallen von den hohen Registern in die tiefen Lagen ab. Im weiteren Verlauf gibt es ein Kräftespiel zwischen fallenden und steigenden Raumbewegungen, wobei der letzte Kanon sich aus den tiefen Lagen in die Höhe windet und dem pessimistischen Ausgang der in Vereinzelung endenden Begegnung der beiden Menschen ein zartes Zeichen der Hoffnung entgegensetzt.

 


The Sound of Skin

Produced by Studio Akustische Kunst, WDR 3
In collaboration with Claudia de Serpa Soares and Nicola Mascia
of the Schaubühne Berlin Dance Ensemble
and with the Deutsches Filmorchester Babelsberg
First broadcast: 30th November 2002 on WDR3
Length: 32:30 min.

Our skin is the sounding resonating vessel of our soul, the membrane that separates us from the outside world, both a protective layer and a sensory organ. Without skin contact, human beings must die – it is only another’s touch that gives us identity and makes us human. At the same time, skin in its ambivalent double role stands for the possible merging of two individuals and for the physical impossibility of true union. Now that humankind has been robbed of its spirituality, the sexual act as the ultimate form of touch is the last remaining experience of transcendence. In Der Klang der Haut, two people join together in search of this ultimate experience in mutual dissolution. The tentative sound of their touch is the language of the bodies whose borders they cannot cross. The topography of these bodies is mapped using a many-layered range of bowed sounds that invoke and celebrate the rituals of love and the pain of separation.

In the Western tradition, touch is considered the most primitive of the five senses. Unlike sight, which is associated with rationality, touch is linked with desire and eroticism, the irrational and the subconscious. At the same time, touch appears to form the basis for the other senses and to possess a certain objectivity. It is no coincidence that we speak of ‘grasping’ things intellectually, which can also refer to the act of touching something to gain an awareness of its reality. But touch also stands for a lack of distance, as the exact opposite of sight, which depends on distance from its object to be able to perceive anything at all. The development of cultures based on writing and the accompanying abstraction, away from reality as perceived via the senses, followed later by the introduction of film and television, ensured the cultural dominance of the visual over the tactile.

Der Klang der Haut shows the meeting of a man and a woman who reassure themselves of the other’s presence by touch alone. Their relationship is based exclusively on tactile communication. They are so obsessed by the groping language of their bodies that the sound of their skin becomes the sound of their desire, but also the sound of doubt and fear. Their skin is the organ of their sensuality, but being as close to each other as they can get, they forget that our skin is also our natural border, keeping us alive and thus necessarily keeping us separate from each another. Their obsession with touch makes them lose their healthy balance between closeness and distance. Desperate, almost angry, they try to crawl into each other, to permeate one another. They both inhale life in deep breaths, each breath heralds a further step in a development, from the initial cautious approach to their physical union and on towards isolation. The sexual act forms the central point on this trajectory: although it is the most intensive form of physical encounter, it also marks the moment of their greatest vulnerability and carries in it the seed of their subsequent separation.

The concrete sounds of the skin are assigned to seven basic emotional patterns, each of which is introduced by an intake of breath. In order of appearance, they are: tenderness, playfulness, desire, passion, doubt, anger, fear. The corresponding skin sounds are: long, gentle stroking of hands across skin (tenderness); short rhythmic sounds of hands rubbing against each other and bodies stroking against each other (playfulness); biting, kissing and tight embrace with wet body (desire); violent rubbing, sticking, slapping and hitting with hair (passion); scratching and rubbing hair (doubt); struggling with fingers, hand to hand fighting, pushing and hitting (anger); shivering and startled jumping (fear).

Sounds of the skin – mainly extremely quiet, microscopic body and skin sounds whose volume was amplified to unusual levels for this composition – are juxtaposed with a body of sound consisting entirely of bowed instruments, centred around a large string ensemble. The sound composition is flanked by two canon-like compositions for string ensemble whose evocative, incantatory character awakens the desire for physical union. Around the middle of the piece, another short canon marks the turning point in the development of the relationship. The string ensemble is accompanied by low volume bowed tones on waterphones, gongs, singing bowls, monochords, bowed psalteries and metal sheets. These are played together with the string ensemble, which sometimes contributes noise-like textures and atonal clusters. The bowed sounds form a counterpoint to the ‘rough’ sounds of the skin: the latter remain on the surface, denoting the exterior, while the sustained tonal sounds ‘get under the listener’s skin’, denoting the interior and describing the inner world of the two characters. The skin sounds stand for intimacy, closeness and motion, while the bowed sounds give an impression of expansiveness, establishing more of a static space whose tone and pitch changes gradually. The extended range of bowed instruments transcends the bodies’ acoustic topography, which shines through dimly in the sustained bowed sounds. The related mode of sound production – sounds are coaxed from an instrument by rubbing (or bowing) – points to the idea of various emotional qualities of touch resonating differently within us: the slow stroking of hands on skin merges imperceptibly with atonal noise from the violins; the rubbing sound of a tight embrace is continued in bowed and rubbed sheet metal. In such combinations, the bowed instruments seem more familiar than the isolated and amplified skin sounds, whose directness makes them seem strange and courser than we experience them in reality.

The third element of the composition consists of sounds from nature that place the piece against a backdrop of autumn. The slightest of breezes, migratory birds flying overhead, falling leaves, drops of water on skin and freezing rain remind us of the season associated with the idea of falling. Clothes slide down bodies, two people meet, exposed and naked, to go right to their own limits. Similarly, autumn can be seen to stand for nakedness and the revelation of hidden secrets – the leaves fall from the trees, nature puts off its finery and shows its dark side. The musical structures also refer to the idea of falling: the first two canon-like compositions descend from the higher to the lower registers. As the piece progresses, there is a struggle between falling and rising movements, with the last canon winding its way from the depths into the high registers, contrasting the pessimistic conclusion, as the encounter between the two people ends in isolation, with a gentle sign of hope.

Translated by Nick Grindell