Autorenproduktion
Ursendung: 18. November 2000, WDR 3
Länge: 23 min.
Eine ältere Fassung von 1999 lief in den Programmen von Radio Kultur, WDR3, Deutschlandradio Berlin und Ö1

 

 
Sono Taxis ist ein Hörstück, das ausschliesslich aus den Gesängen von Fröschen, Heuschrecken und Zikaden komponiert ist. Diesen Tierarten ist die Form der akustischen Kommunikation gemeinsam, die in der Biologie als „Phonotaxis“ bezeichnet wird. Sie dient dem Anlocken von Artgenossen durch genetisch fixierte Lautäusserungen, die sich durch Tonhöhe und rhythmische Strukturierung unterscheiden. Jede Art verfügt über ihren spezifischen Code und belegt einen akustischen Kanal, um sich in der Klangkakophonie des Dschungels durchzusetzen. Die Zusammensetzung der Frosch- und Heuschreckenrufe ändert sich im Tagesablauf ständig und lässt den Regenwald zu jeder Stunde anders resonieren. Ziel dieses Hörstückes ist es, aus den Interaktionsmustern dieser Tierarten verschiedene Klanglandschaften aufzubauen, in denen zugrundeliegende Prinzipien der Selbstorganisation deutlich werden. Die gegenseitige Reaktion und flexible Angleichung in den Rufmusters der einzelnen Arten bilden einen Klangorganismus, der weit über das einzelne Individuum hinausgeht. Zwei Phänomene seien hier besonders hervorgehoben: Die Synchronisation einzelner repetitiver Gesangsmuster in Rufgemeinschaften und Chören, auch die Kopplung zwischen verschiedenen Arten, sogar zwischen Heuschrecken und Fröschen. Zum Anderen ein dem Crescendo ähnlicher Effekt: Einzeltiere versuchen, Konkurrenten durch lautere Rufe zu übertönen, wodurch diese ebenfalls mit lauteren Rufen reagieren. Die Rückkoppelung führt zum Aufschaukeln der Lautstärke, bis die Rufe abrupt abbrechen, um dann von neuem wieder anzuschwellen. Beide Phänomene werden in sono taxis als dramaturgische Mittel verwendet, um die eingeführten Gesangsmuster zu einer rhythmisch komplexen Struktur zu verdichten und die einzelnen Ebenen miteinander zu verzahnen. Ausserdem kamen zwei Montagetechniken zum Einsatz, mit deren Hilfe die Synchronisations- und Kopplungsvorgänge herausgearbeitet werden konnten: Die eine Technik lässt eine Schleife durch das repetitive Material „driften“, wodurch entlang eines durchgehenden Pulses diverse rhythmische Qualitäten durchgespielt werden (eine genauere Beschreibung der Technik befindet sich in der Projektbeschreibung zu dripping). Die andere Technik wurde mit dem Algorhithmus einer Sounddesign Workstation realisiert, bei der wiederholt durch das Audiomaterial gefahren wird und mit exponentiell zunehmender Dichte Proben entnommen werden, wodurch ein akustisches Bild für die sich selbstverstärkenden Gesänge geschaffen wird. Die verschiedenen Klanglandschaften entfalten sich in fünf Teilen, deren Übergänge von individüllen Rufen exotischer Froscharten bestimmt werden. Das hochfreqünte Kreischen und Zischen einzelner Zikaden beherrscht die Einleitung und das Ende – ein Prototyp archaischer Lautäusserungen, die auf der Erde erklangen, lange bevor Vögel und Säugetiere sie bevölkerten. Die zeitliche Struktur und ritülle Wiederkehr der Frosch- und Heuschreckengesänge kann hier als Ur-Soundtrack der Natur gedacht werden, als vorbewusste Sprache und Herzschlag des Gesamtorganismus Erde.